Communications and Marketing
Verbraucherinformatik stärkt den Verbraucherschutz
H-BRS: An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg existiert seit Anfang des Jahres das bundesweit erste Institut für Verbraucherinformatik. Was hat dazu geführt, dass dieses Thema an der Hochschule diesen Status bekommt?
Alexander Boden: Das Thema spielt im Alltag der Menschen eine immer wichtigere Rolle. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren hat die Digitalisierung sämtliche Lebensbereiche durchdrungen, bedingt durch die Verbreitung schneller Internetanschlüsse und die mobile Revolution mit Smartphones, App-Ökosystemen und Streamingdiensten. Ob Lieblingsmusik, Gesundheitsapp oder Steuererklärung – alles ist heutzutage auf digitalen Plattformen angesiedelt und abrufbar. Es treten verstärkt digitale Konsummuster auf, und auch die öffentliche Verwaltung bietet Dienste zunehmend digital an. Hinzu kommt, dass durch soziale Medien das Arbeits- und das Privatleben immer mehr zusammenfallen. Was macht all das mit den Menschen? Wie eignen sich Verbraucher digitale Produkte an, wie können solche Produkte und Dienstleistungen möglichst nutzerfreundlich gestaltet werden und gleichzeitig die Position der Verbraucher gegenüber Digitalkonzernen gestärkt werden?
Verbraucherinformatik füllt eine Lücke
Damit beschäftigen wir uns in verschiedenen Forschungsprojekten. Die Verbraucherinformatik füllt in der wissenschaftlichen Landschaft eine Lücke – zwischen den klassischen Verbraucherwissenschaften, die sich mit den Belangen und Problemen der Verbraucher beschäftigen, der Wirtschaftsinformatik, die Verbraucher als „Kunden“ sehen, und der Umweltinformatik, deren Perspektive auf dem Ressourcenverbrauch der Menschen liegt. Wir sind mit unserem Institut für Verbraucherinformatik interdisziplinär aufgestellt und arbeiten eng mit der Uni Siegen zusammen. Gunnar Stevens, der bei uns zur Institutsleitung gehört, hat dort einen Lehrstuhl. Gemeinsam kommen wir auf etwa 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
H-BRS: Sind sich die Menschen der Dimension dieses digitalen Wandels in ihrem Alltag bewusst? Sehen sie die Probleme und Risiken?
Boden: Wir nehmen allgemein ein Gefühl der Überforderung wahr. Es ist schwierig, sich in dieser digitalen Welt zurecht zu finden. Das erleben wir beispielsweise bei unserer Forschung zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Da wurde ein mächtiges Datenschutzinstrument geschaffen, aber die Menschen wissen nicht, welche Rechte sie damit erhalten haben und wie sie sie einfordern können. An dieser Stelle geht es für uns um die Frage, wie wir Verbrauchern Hilfestellung anbieten können. Wir entwickeln zum Beispiel Tools, die dabei helfen, so genannte Daten-Takeouts von großen Digitalkonzernen einzuholen. Denn nach der DSGVO hat jeder das Recht zu erfahren, welche Daten über ihn gesammelt werden. In der Praxis ist es meist gar so nicht leicht, diese Auskunft einzuholen und zu deuten.
Der private Haushalt als Ausgangspunkt
H-BRS: So gesehen ist Verbraucherinformatik ein Beitrag zum Verbraucherschutz, oder?
Boden: Unsere Themen haben immer eine große Verbraucherschutz-Dimension. Wir beschäftigen uns mit vielen Fragen aus der Perspektive des privaten Haushalts. Zu unseren Schwerpunkten gehören Wohnen und Wirtschaften, Lebensmittel, Mobilität, Energie- und Ressourcenverbrauch, darüber hinaus auch Themen wie Vertragsmanagement. Dabei arbeiten wir eng mit Verbraucherschützern zusammen, aber auch mit zahlreichen anderen Kooperationspartnern wie zum Beispiel Kommunen, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) oder auch Unternehmen. Nehmen wir zum Beispiel den Handel: Wie sieht der Supermarkt der Zukunft aus? Auch das ist mit Blick auf die Digitalisierung ein spannendes Thema.
H-BRS: In diesem Zusammenhang ist auch die Forschung zu Essen und Trinken zu sehen?
Boden: Wir forschen zum Beispiel zur Berechnung der Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln und zur Transparenz von Lieferketten. Bei einem anderen Projekt gehen wir der Frage nach, wie sich sinnliches Geschmackserleben in einen digitalen Raum verlagern lässt. Das ist eine Frage, die besonders den Handel interessiert. Dazu haben wir uns mit digitalen Weinproben beschäftigt, ein Veranstaltungsformat, das durch die Corona-Pandemie eine gewisse Verbreitung erfahren hat.
H-BRS: Bei welchen Themen arbeiten Sie mit Kommunen zusammen?
Boden: Bei der Mobilität. In einem Projekt geht es darum, das Mobilitätsmanagement in Bonn zu verbessern. Inzwischen gibt es viele verschiedene Verkehrsträger, nicht zuletzt durch den Vormarsch von Sharing-Diensten, die Autos, Fahrräder oder Roller anbieten. Wir arbeiten an einem Tool, das all diese Angebote auf einer gemeinsamen Plattform bündelt. Dadurch erhält die Stadt einen Überblick über Angebote, Standorte, Verfügbarkeit und Auslastung. Sie soll damit in die Lage versetzt werden, Mobilität in ihrer Vielschichtigkeit zu steuern.
Zukunft der Mobilität
H-BRS: Befassen Sie sich auch mit der Zukunft der Mobilität, sprich mit selbstfahrenden Autos?
Boden: Ja. Wir wollen zum Beispiel verstehen, welche Erwartungen, Sorgen und Nöte die Menschen haben. Dazu haben wir eine Studie zur Taxibranche herausgebracht, für die wir Taxifahrer befragt haben. Die Branche wird sich verändern, wenn sich in der Zukunft das autonome Fahren verbreitet. Es wird zu Verdrängungseffekten kommen. Das gilt auch für den Öffentlichen Personennahverkehr. Unsere Studien zeigen, dass zum Beispiel Angebote wie Autonome Taxis dem ÖPNV starke Konkurrenz machen könnten, was aus einer Nachhaltigkeitsperspektive nicht erstrebenswert ist. In diesem Sinne stellt die Nachhaltigkeit in der Verbraucherinformatik immer auch ein wichtiges Querschnittsthema bei all unseren Themengebieten dar.
H-BRS: Bleiben wir beim Blick in die Zukunft. Wo steht das Institut für Verbraucherinformatik in fünf Jahren?
Boden: Wir haben im Augenblick alle Hände voll zu tun, wir wachsen, sind gut vernetzt und haben in relativ kurzer Zeit einiges aufgebaut. Ich hoffe, dass es uns lange geben wird und dass wir durch unsere Arbeit die Konsumwelt transparenter und nachhaltiger gestalten können. Ich bin mir sicher, dass Kernthemen wie Mobilität oder Verbraucherschutz in den kommenden Jahren noch bedeutender werden.
Das Gespräch führte Dominik Pieper.
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Alexander Boden
Professor for business economics, esp. Software Engineering, Schwerpunktprofessor for economical and social sustainablity, Co-Director of the Institute for Digital Consumption (Consumer Informatics)
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