Centre for Entrepreneurship, Innovation and SMEs (CENTIM)
Ein kurzer Zwischenbericht
Neue Kulturangebote in ländlichen Räumen
„Das ist ein Ort der Begegnung und des dörflichen Miteinanders.”
Interviewter Bürgermeister über den neuen Kulturort
Wie haben wir dies gemacht?
Vier Initiativen in drei Landkreisen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, welche als sehr ländlich [1] gelten, sind unsere Untersuchungsorte. Mittels teilnehmender Beobachtung, Dokumentenanalyse und rund 20 qualitativer Interviews mit Mitgliedern von Kulturinitiativen sowie kommunalpolitischen und privaten Unterstützer:innen wie Bürgermeistern oder lokalen Unternehmern haben wir folgende Erkenntnisse gewonnen.
Warum entstehen neue Kulturangebote?
Sozialer Wandel in Lebens- und Arbeitswelten und der demografische Wandel fordern die Dorfgemeinschaften heraus. Ursprüngliche Räume der Kommunikation wie die Dorfkneipe oder regelmäßige Vereinsfeste werden vielerorts seltener. Junge Menschen, die früher die Vereine erfrischten, wandern ab in größere Städte. Orte werden zu „Schlaforten“, wenn ansässige Pendler:innen ihren Arbeitsmittelpunkt in großen Städten haben und im Grünen nur wohnen.
„Unser Festival ist ein indirekter Wirtschaftsfaktor, weil es ein Puzzlestein in der Entscheidung ist, hier zu leben.”
Interviewter Mitgründer eines Kulturortes
Ein neues kulturelles Angebot auf dem Dorf:
- zeigt das Bedürfnis der Menschen, auch außerhalb von Familie und Arbeit zusammenzukommen und im Dorf in Austausch zu treten
- ermöglicht Begegnungen unterschiedlicher Ortsbewohner:innen, die sonst vielleicht nicht (mehr) zusammenkommen. Kulturinitiativen können in dem Sinne als Soziale Orte begriffen werden, die auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig sind. Soziale Orte sind „Räume und Zusammenschlüsse […] die von lokalen Akteuren bzw. Akteursgruppen getragen und genutzt werden, um einander zu begegnen und zusammen Lösungen für konkrete lokale Bedarfe zu schaffen. Räumliche Nähe ermöglicht Kommunikation, Vernetzung und Kooperation“ [2, 3]
- schafft damit Lebensqualität und kann von Kommunalpolitik und Kulturverwaltung lokal als bedeutender weicher Standort-Faktor und regionalpolitischer Motor begriffen werden, der das Abwandern junger Leute verhindert und neue Bewohner:innen anzieht
- kann sich über die Jahre hinweg zu einem kulturellen Marker der regionalen Identität entwickeln [4]
Und wie gelingt dies?
Was kann die Kommunalpolitik tun:
- Ein Verständnis dafür aufbauen, dass neue lokale Kulturangebote a) zur lokalen Lebensqualität beitragen und b) nur schwer aus der Verwaltung heraus geplant werden können, sondern durch stark engagierte Bürger:innen mit Leben gefüllt werden
- Somit sollte die Kommunalpolitik günstige Ausgangslagen für diese Bürger:innen schaffen, indem die freiwillige kommunale Leistung Kultur einen hohen Stellenwert bekommt. Das bedeutet:
- Ideelle und finanzielle Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement, zum Beispiel über Ehrenamtszuwendungen [5]
- Kulturförderinstrumente, die einen Prozess erlauben und langfristig angelegt sind, statt nur ein einmaliges oder kurzzeitig angelegtes Produkt zu finanzieren [6]
- Die Beratung zu Öffentlichkeitsarbeit, Förderungen, Behördenkommunikation durch regionale Kulturbüros stärken und ausbauen [7]
- Ganz grundsätzlich: die Bereitstellung eines passenden Raums oder Platzes [8]
„Die Kinder sollen lernen, dass es im Dorf auch schön ist. Und dass es cool ist, wenn man nicht weit durch die Gegend fahren muss, sondern auch mit den Leuten von hier einen lustigen Abend verbringen kann.”
Interviewte Gründerin eines neuen Kulturortes
Welche Bürger:innen braucht es:
- Motivierte Ehrenamtler:innen mit Begeisterung für Kunst/Kultur und ihre Region, die einen langen Atem haben, wenn es mal zu Problemen kommt und die auch einfach persönlich Lust am Thema haben
- Ganz unterschiedliche Kompetenzen: Menschen mit Verwaltungs-, Finanz-, Kunst- und vor allem auch Sozialkenntnissen. [9] Der Mix macht es!
- Ein offenes Umfeld: Lust der Nachbar:innen und Anwohner, das Neue auszuprobieren
Literatur
[1] Thünen-Landatlas: https://karten.landatlas.de/
[2] Kersten, Jens; Neu, Claudia; Vogel, Berthold (2022): Das Soziale-Orte-Konzept. Zusammenhalt in einer vulnerablen Gesellschaft. 1. Auflage. Bielefeld: Transcript; transcript Verlag (Rurale Topografien, 16).
[3] Website Soziale Orte: https://sozialeorte.de/, zuletzt abgerufen 08.07.2024
[4] Knaps, Falco; Herrmann, Sylvia (2018): Analyzing Cultural Markers to Characterize Regional Identity for Rural Planning. In: RUR LANDSC 5 (1), S. 1. DOI: 10.16993/rl.41.
[5] Christmann, Gabriela B. (2020): Soziale Innovationen in ländlichen Räumen. In: Claus-Christian Wiegandt und Christian Krajewski (Hg.): Land in Sicht. Ländliche Räume in Deutschland zwischen Prosperität und Peripherisierung, Bd. 10362: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe).
[6] BMEL (2024): Kultur in ländlichen Räumen: Engagement und Vielfalt fördern. Ergebnisse und Empfehlungen aus den LandKULTUR-Projekten. Hg. v. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
[7] Rammelmeier, Maria (2018): Regionales Kulturmanagement: Die Bedeutung professionell organisierter Kulturarbeit, untersucht im Landkreis Neumarkt i.d.OPf. Kulturelle Bildung online. Online verfügbar unter kubi-online.de.
[8] Rammelmeier, Maria (2023): Freiwilliges kulturelles Engagement in ländlichen Räumen: Vielfalt, Herausforderungen und Lösungsansätze. Online verfügbar unter https://www.kubi-online.de/artikel/freiwilliges-kulturelles-engagement-….
[9] Unthan, Nils; Heuser, Jacob; Kratzer, Armin (2022): Das Recht auf Dorf Von Experimenten, Pionieren und (sozialen) Innovationen in ländlich-peripheren Biosphärenreservaten. In: Bernd Belina, Andreas Kallert, Michael Mießner und Matthias Naumann (Hg.): Ungleiche ländliche Räume. Widersprüche, Konzepte und Perspektiven: Transcript (Kritische Landforschung. Umkämpfte Ressourcen, Transformationen des Ländlichen und politische Alternativen, 2), S. 217-234.
Kontakt
Cathleen Müller
Research associate, Project Manager Social Innovations in Art and Culture as a Factor for Resilience and Cultural Participation in Structurally Weak Rural Areas
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