Centre for Entrepreneurship, Innovation and SMEs (CENTIM)
Interview mit dem Gewinner des Start-up-Cups 2021: Dressive
Start-up-Manufaktur: Was ist in den vergangenen Monaten passiert, was hat sich bei deinem Start-up und dir getan?
Paul: Einiges! Seit dem Start-up-Cup haben wir eine ganze Menge genetzwerkt, weil wir Feedback von den relevanten Stakeholdern haben wollten, die mit Dressive in Berührung gekommen wären. Wir haben Modelabels, Store-Designern, Architekten, Retailspezialisten und Führungskräften aus verschiedenen Branchen gesprochen, um unsere Idee zu validieren.
Wir haben außerdem mit Städten um Umland von Köln gesprochen und uns sogar schon Flächen für Stores angeguckt, uns mit Stadtplanern unterhalten, usw. Hier war die Unterstützung und das Feedback wirklich grandios.
Auch das Feedback der Branchenspezialisten war durchweg positiv – alle waren/sind der Meinung, dass sich der stationäre Modehandel der Zukunft verändern wird und dass innovative Systeme wie Dressive dazu einen Beitrag leisten werden.
Außerdem haben wir uns mit den Finanzen beschäftigt und einen Store mal in einem Excel modelliert – was geht rein, was geht raus, wie groß muss der sein, wie teilen sich Lager- & Verkaufsfläche auf, usw.
Dabei kam – wenig überraschend – raus, dass wir sehr hohe Fixkosten haben werden, die wir auf Modemarken, die sich bei uns Verkaufsfläche gemietet hätten, umlegen müssen.
Wir haben daraufhin mit einigen Modemarken gesprochen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob die bereit wären, so einen hohen Preis zu zahlen und was die Leistungen dafür sein müssten.
Einige waren bereit, andere nicht, … all in all schienen die Modemarken, aber vor allem nicht bereit zu sein, eine solche Investition zu Coronazeiten aufzunehmen. Das Grundinteresse war da, sobald wir konkret wurden und LOls unterschrieben haben wollten, haben die meisten einen Rückzieher gemacht, weil die Zukunft des stationären Handels einfach so ungewiss war/ist.
Dazu kam, dass meine beiden Mitbegründer parallel noch in anderen Projekten steckten, bei denen es zu der Zeit besser lief. Außerdem kam von uns niemand aus der Modebranche, was den Zugang zu Entscheidern deutlich erschwert hat.
Deswegen haben wir uns schweren Herzens im März dazu entschlossen, Dressive erstmal ruhen zu lassen. In einer Retro haben wir zentrale Punkte aufgearbeitet, die uns zu diesem Schritt geleitet haben, die ich hier gerne nochmal zusammenfasse:
1. Marktumfeld: Corona hat dem stationären Handel massiv geschadet, Modemarken, die bereits im Handel waren, ist der Umsatz eingebrochen. Es folgten Kündigungen und Filialschließungen. Modemarken, die noch nicht im Handel waren, haben mögliche Einstiege auf nach Corona geschoben. Die Preisbereitschaft unserer Zielgruppe war damit ebenfalls eingebrochen - wir hatten das falsche Timing.
2. Team: Wir waren einen Unternehmensberater, ein Marketing-Guru und ich, als irgendwie Alleskönner. Aber: uns hat die Branchenkenntnis gefehlt. Keiner von uns kannte die Modebranche aus Sicht unserer Kunden oder Wettbewerber, wir haben lediglich die Endkundensicht vertreten, nach dem Motto "ich würde auf jeden Fall gerne so einkaufen gehen!" Das konnten wir auch empirisch in einer Studie belegen, um Dressive aber auf die Straße zu bringen, hätten wir ein besseres Netzwerk und mehr Insiderwissen gebraucht: was kostet der qm Verkaufsfläche im EK, wie funktioniert die Logistik auf nationaler Ebene, nach welchen Kriterien werden Standorte ausgewählt, …
3. Produkt: Dressive ist kein rein digitales Produkt, was die Umsetzung erschwert. Selbst ein MVP wäre mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden gewesen. Rapid testing in kurzen Zyklen, wie man es aus dem Digitalumfeld kennt, ist damit sehr schwierig. Wir hätten Kontakte zu Angels oder Investoren gebraucht, die uns schon kennen und mit uns das Risiko eingegangen wären, einen solchen MVP zu bauen, Wenn wir aber als Unbekannte bei solchen Leuten klingeln .... no chance, womit wir wieder bei Punkt 2 wären.
Das heißt aber nicht, dass Dressive gestorben ist, wenn wir eins gelernt haben, ist es, anpassungsfähig zu sein. Wir beobachten den Markt weiterhin sehr genau und feilen immer noch am Produkt, um die Umsetzung einfacher zu gestalten.
Und mal ganz im Ernst: wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass shoppen im 21. Jahrhundert einfacher und angenehmer gehen muss, als das, was wir aktuell durchmachen müssen!
Start-up-Manufaktur: Konntet ihr euch weiterentwickeln?
Paul: Auf jeden Fall! Ich gehe hier mal auf unsere persönliche Entwicklung ein.
Ich habe durch Dressive das Thema Gründen für mich noch einmal geschärft und als relevanten beruflichen Weg identifiziert. Sich so in ein Projekt zu hängen, Tag ein Tag aus Probleme zu lösen und einfach Zukunft mitzubauen, fasziniert mich und hat mich jeden einzelnen Tag derbe motiviert.
Ich bin seit Dressive auch ein viel, viel besserer Netzwerker geworden und kann nur alle anderen Gründungsinteressierten da draußen ermutigen, sich nach dem Lesen dieser Zeilen sofort für ein Network-Event anzumelden. Ohne Netzwerk geht nichts! Die Idee ist nur der allererste Schritt – die Umsetzung ist alles. Und die schafft ihr nicht ohne die richtigen Leute im Rücken.
Aber der größte Benefit ist, dass ich mich seit Dressive mit anderen Gründungsideen beschäftige, die ich dank meiner Erfahrungen deutlich schneller und besser beurteilen kann. Das Ding bei dem allerersten Gründungsvorhaben ist, dass man überhaupt keine Ahnung hat. Wie spreche ich potentielle Kunden an, wie mache ich Market Research, wie baue ich ein Financial Model, … klar gibt es viele Tools & Tipps Online, aber you've only done it once you've done it. Die Erfahrung durch Dressive hat die Gründungswelt für mich geöffnet und das Wissen, das ich durch Dressive erlangt habe, hilft mir jeden Tag.
Start-up-Manufaktur: Was waren die größten erfolgreichen Schritte?
Paul: Wir wurden von top Branchenkennern zum Pitchen eingeladen, was uns gezeigt hat, dass Dressive mehr ist als nur ein paar Slides. Die Idee ist so gut, dass Modemarken, Store-Designer, Retailer und andere Stakeholder uns ernst genommen haben. Eins der führenden Unternehmen für Retaildesign in Europa hat uns bspw. nach Berlin eingeladen, um vor dem C-Level zu pitchen.
Wir haben das Konzept wasserdicht bekommen. Wir konnten alle Fragen von allen beantworten – nicht selbstverständlich.
Auch wenn das Team am Ende das falsche war, haben wir eins aufgebaut. 3 Gründer, die sich vorher nicht kannten, haben sehr gut harmonisiert. Mitgründer zu finden war für mich eine große Herausforderung, weil man ab Tag 1 vollstes Vertrauen haben muss.
Start-up-Manufaktur: Uns interessiert natürlich auch, was ihr mit dem Geld angestellt habt ...
Paul: Mit dem Preisgeld haben wir die Domain www.dressive.com gekauft und die Wortmarke Dressive auf EU-Ebene schützen lassen. Hat beides zusammen genau das Preisgeld geschluckt.
Abschließend will ich mich noch bei euch und dem Team von der HBRS bedanken. Der Start-up-Cup war meine Eintrittskarte in die Gründerwelt. Das Feedback und der Sieg waren für mich der Beweis, dass die Idee gut ist. Durch eure Unterstützung schaue ich nun bereits routinierter und geschärfter auf neue Gründungsideen – und davon gibt es einige!
„Paul hat 2021 an der H-BRS seinen Bachelor in Wirtschaftspsychologie gemacht. Seine Begeisterung für alles Neue und Digitale vertieft er jetzt im Masterstudium an der RWTH Aachen im Studiengang "Governance of Technology and Innovation". Die Erfahrungen, die er in seiner Start-up-Zeit gesammelt hat, wird er demnächst im Praxissemester in einem großen Innovationsprojekt eines Fraunhofer-Institus einbringen.”
Paul Anduschus - Gründer von "dressive"