Kommunikation und Marketing
Plötzlich digital: Lehren aus der Online-Lehre
Fehlender Ton, einfrierende Videobilder, endlos lange Downloadzeiten: Technische Gründe gibt es viele, die das Studierendenleben erschweren, wenn Vorlesungen ausschließlich digital stattfinden. Aber welchen Einfluss auf den Erfolg digitaler Lehre hat die Persönlichkeit der Studierenden? Oder anders gefragt: Was passiert, wenn die digitalen Lehrmethoden mit der Persönlichkeit der Studierenden nicht harmonieren?
Andrea Schröder lehrt als ehemalige Rechtsanwältin im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der H-BRS Wirtschaftsprivatrecht, genau wie ihre Kollegin Professorin Sandra Rohleder. Beide mussten aufgrund der Covid-19-Pandemie im Sommersemester 2020 in kürzester Zeit auf digitale Lehre umstellen.
„Es lag für uns nahe, uns zusammen zu tun, da wir beide das gleiche Fach - wenn auch an verschiedenen Standorten - unterrichten. Zusammen verfügen wir über einen großen Fundus von E-Learning Materialien, die wir beide schon vor Corona eingesetzt haben“, erklärt Andrea Schröder.
Erhebung der Persönlichkeitsstruktur der Studierenden
Sie lehrt jedoch nicht nur, sondern ist auch administrative Direktorin des hochschuleigenen Zentrums für Innovation und Entwicklung in der Lehre (ZIEL) und als solche auch mit der Erforschung der Lehre befasst. Aus diesem Grund war ihr sofort klar, dass das ZIEL die neue digitale Lehrsituation empirisch untersuchen sollte.
Gemeinsam mit der im ZIEL tätigen Wirtschaftspsychologin Alexandra Reher und dem Ingenieur und Wirtschaftspsychologen Michael Malschützky hat Andrea Schröder über drei Semester hinweg die rund 300 Studierenden der Rechtsvorlesungen empirisch begleitet. Ihre Rolle als Lehrende erlaubte es Andrea Schröder und Sandra Rohleder zugleich, das didaktische Konzept semesterweise entsprechend der empirischen Befunde im Verlauf des Längsschnitts schrittweise anzupassen. Dadurch konnten die Auswirkungen der Veränderungen ebenfalls direkt untersucht werden.
Zunächst aber galt es, sich ein Bild von den Persönlichkeitsmerkmalen der Studierenden zu machen. Diese wurden von der Forschungsgruppe des ZIEL nach dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit mit einer validierten psychometrischen Kurzskala erhoben. Dieses international anerkannte Persönlichkeitsmodell beschreibt eine Person in den fünf voneinander unabhängigen Persönlichkeitsdimensionen: Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Offenheit. Die so erhobene Persönlichkeitsstruktur der Studierenden konnte dann deren Bewertung unterschiedlicher Lehrmethoden gegenübergestellt werden.
Erreichbar auch am Wochenende per Instant Messenger
Für ihre Lehrveranstaltungen entschieden sich Andrea Schröder und Sandra Rohleder im Sommersemester für ein Flipped-Classroom-Konzept. Dabei erarbeiteten sich die Studierenden den Stoff zunächst zu Hause mit Hilfe von Videos, Tutorials und Skripten. Die Anwendung erfolgte dann im Online-Unterricht, wo auch Fragen geklärt wurden. Die beiden Lehrkräfte führten zudem einen Instant Messenger ein, um für ihre Studierenden 24 Stunden in der Woche und auch am Wochenende erreichbar zu sein.
„So war es möglich“, sagt Andrea Schröder, „eine Rundum-Betreuung unserer Studierenden zu gewährleisten, die sogar über das, was im Präsenzunterricht geleistet wird, hinausging.“ Die juristische Fallbearbeitung erfolgte via Zoom in Breakout-Sessions, in denen die beiden Lehrenden hin- und herwanderten, um die gut dreihundert Studierenden zu unterstützen.
Anpassung der Lehrmethoden im Folgesemester
Die gesammelten Daten zeigten der Forschungsgruppe, dass Studierende mit hohen Neurotizismus-Werten besonders vom Einsatz des Instant Messengers profitierten. Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten haben die Tendenz, sich zu sorgen und schnell gestresst zu fühlen. Offensichtlich half diesen Studierenden die schriftliche Kommunikation, Stress und Angst zu minimieren. Videokonferenzen hingegen wurden erwartungsgemäß besonders von hoch extrovertierten Studierenden positiv bewertet. Diese leiden unter den stark reduzierten Kontakten besonders und brauchen mehr Gelegenheiten, ihre Kommilitonen und Lehrenden zu sehen.
Im folgenden Wintersemester haben Andrea Schröder und Sandra Rohleder ihre Lehrmethoden an die gewonnenen Erkenntnisse angepasst. So haben sie soziale Veranstaltungen wie Spieleabende und eine virtuelle Weihnachtsfeier eingeführt, um die Lernatmosphäre zu verbessern. Dies gab hoch extrovertierten Studierenden die Möglichkeit, mit ihren Kommilitonen in den Austausch zu treten. Es zeigte sich aber auch, dass so Studierende mit geringer Verträglichkeit geholfen werden konnte, Kontakte aufzubauen. Zudem erhöhten die Lehrenden den Anteil an Videokonferenzen. Dabei zeigten Folgemessungen eine hohe Akzeptanz der neuen, an die Persönlichkeitsstruktur der Studierenden angepassten Maßnahmen.
Orientierung an der Persönlichkeit der Lernenden
„Wir haben starke Belege dafür gefunden, dass Studierende mit unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen unterschiedliche Lehrmethoden bevorzugen“, fasst Andrea Schröder die Ergebnisse zusammen. „Daraus lässt sich ableiten, dass es für den Lernprozess wichtig ist, sich bei der Wahl der Lehrmethoden nicht nur an technischen Gegebenheiten, sondern auch an der Persönlichkeit der Studierenden zu orientieren und die Lehrmethoden entsprechend anzupassen. Das ist gerade für die postpandemische Lehre eine wichtige Erkenntnis, die wir im ZIEL weiter erforschen werden.“
Dass diese Erkenntnis auch für andere Fachrichtungen bedeutsam ist, wurde Andrea Schröder und ihren ZIEL-Kollegen im November auf der WEEF/GEDC-Konferenz in Madrid sehr deutlich, wo sie ihre Ergebnisse vor internationalem Fachpublikum vorstellten. Alle Ergebnisse ihrer Untersuchungen werden in Kürze in dem Sammelband „Hochschulen in der Pandemie – Impulse für eine nachhaltige Entwicklung von Studium und Lehre“ nachzulesen sein.
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Andrea Schröder
Direktorin des Zentrums für Innovation und Entwicklung in der Lehre (ZIEL), Präsidialbeauftragte für Hochschuldidaktik
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