Kommunikation und Marketing
H-BRS aktuell: Wie können moderne Mobilitätskonzepte Staus verhindern?
Paul Bossauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, leitet zudem die Forschungsgruppe Mobilität mit den Forschungsprojekten Mobilcharta5 (Mobilitätspraktiken und -konzepte für den ländlichen Raum), OMI (Aufbau einer offenen Mobilitätsinfrastruktur, Softwareentwicklung) und MIAAS (Nutzung von Mobilitätsdaten zur Verbesserung der Verknüpfung einzelner Mobilitätsangebote in der gesamten Wegekette).
H-BRS: Trotz hoher Betriebskosten und Staus ist das Auto für Berufspendlerinnen und -pendler in Deutschland immer noch das beliebteste Verkehrsmittel. Warum haben es Alternativen wie der ÖPNV, das Fahrrad oder Fahrgemeinschaften immer noch so schwer?
Bossauer: Das hat viele Gründe. In Bezug auf das Fahrrad vermissen vor allem Besitzerinnen und Besitzer teurer Elektrofahrräder sichere Abstellmöglichkeiten. Das Fahrrad, ob elektrisch oder nicht, ist nur dann eine attraktive Alternative, wenn es überall gute und sichere Fahrradwege und Abstellplätze mit Ladestationen für E-Bikes gibt. Ein weiteres Problem ist, dass das Deutschlandticket in seiner aktuellen Form keine Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen erlaubt. Nicht alle wohnen so nah, dass sie die gesamte Strecke zwischen Wohnort und Arbeitsplatz mit dem Fahrrad zurücklegen könnten. Diese Menschen brauchen Verbundlösungen, also das Zusammenspiel unterschiedlicher Fortbewegungsmittel in der Wegekette.
H-BRS: Was genau meinen Sie damit?
Bossauer: Wir müssen die Probleme aus der Sicht der Pendlerinnen und Pendler betrachten. Eine Lösung könnte eine App sein, die eine Streckenplanung mit verschiedenen Verkehrsmitteln ermöglicht. Also etwa: Man geht zu Fuß zum Bahnhof, nimmt dort die S-Bahn zum Hauptbahnhof und dann den E-Scooter zum Ziel der Reise. Momentan ist das für viele User noch ein Hemmschuh, dass man für jedes Angebot eine eigene App braucht.
H-BRS: Diesel und Benzin sind teuer, Autos gibt es offensichtlich genügend. Warum sind Fahrgemeinschaften nicht bereits jetzt beliebter?
Bossauer: Mitfahrgelegenheiten zu organisieren und zu buchen muss technisch so einfach wie möglich sein und beispielsweise in einer übersichtlichen und einfach zu bedienenden, kostenfreien App umgesetzt werden. So nähme man zumindest schon mal die erste Hürde. Weiterhin könnten Anreize für diejenigen sinnvoll sein, die ihr Auto und die Fahrt ja als Dienstleistung zur Verfügung stellen - sie könnten etwa durch Sponsoring geschaffen werden. Fahrerinnen und Fahrer erhielten also eine Gebühr, aber nicht von den Mitfahrenden, sondern indirekt von einem Unternehmen, das die Fahrt sponsert. An der Hochschule untersuchen wir aktuell, welche Anreize Menschen dazu bewegen, ein solches Angebot zu nutzen.
H-BRS: Wären Ihrer Meinung nach Fahrverbote im Individualverkehr, in welcher Form auch immer, denkbar? Oder sind Verbote grundsätzlich der falsche Ansatz und nicht mehr zeitgemäß?
Bossauer: Das ist ein sehr emotionales Thema. Ich glaube, das wird bei der breiten Bevölkerung nicht auf Gegenliebe stoßen. Was wir in unserer Forschung sehen, ist, dass es eine Tendenz gibt, dass das Autofahren unattraktiver wird. Niemand steht gerne im Stau, gleichzeitig haben wir seit Mai in Sankt Augustin eine Parkraumbewirtschaftung, das heißt die kostenlosen Parkplätze nehmen ab. Diese Entwicklung ist zwar grundsätzlich im Sinne der Nachhaltigkeit, aber ich glaube wir schaffen eine höhere Akzeptanz, wenn wir attraktivere Alternativen schaffen.
H-BRS: Wo sehen Sie bei derzeitigen Mobilitätskonzepten noch Verbesserungsspielraum?
Bossauer: Mobilität hört nicht an den Grenzen auf. In unseren Forschungsprojekten ist uns immer wieder aufgefallen, dass Mobilität nur interkommunal funktionieren kann und muss. Das ist ein wichtiger Baustein, um die Alternativen zum motorisierten Individualverkehr attraktiver zu machen. Wir brauchen Lösungen, die auch für die Leute funktionieren, die aus Köln oder Bonn kommen. Die komplette Alternativlösung muss komfortabel nutzbar sein. Ein Problem, das wir bei vielen Sharing-Anbietern sehen, ist, dass viele Angebote nicht per se überregional miteinander verknüpft sind und man beispielsweise keine KVB-Räder in Sankt Augustin abstellen kann, das ist auch nicht trivial. Es wäre generell bedarfsgerechter, wenn die Angebote über die kommunalen Grenzen hinaus funktionieren. Wir müssen Mobilität generell stärker aus der Sicht der Nutzenden denken und viel mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Das Interview führte Juri Küstenmacher
Pressebilder: Paul Bossauer im Interview
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