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Kerosin aus Klärschlamm und Biomüll: H-BRS erstellt Ökobilanz
CO2-neutral Fliegen mit Hilfe von Klärschlamm und Biomüll – so lässt sich sehr vereinfacht die Idee hinter dem Forschungsprojekt reTURN (Recycling organischer Reststoffe und CO2 zu Kraftstoffen) beschreiben. Indem klimaneutral hergestellter synthetischer Kraftstoff fossilen Kraftstoff ersetzt, soll die Energiewende vorangetrieben und ein Beitrag zum weltweiten Klimaschutz geleistet werden. „Die Luftfahrtbranche lässt sich nicht komplett elektrifizieren“, sagt Professorin Stefanie Meilinger, die das Projekt an der H-BRS leitet. „Außerdem lassen sich Flüge vielleicht reduzieren, aber nicht komplett verhindern. Da brauchen wir andere Lösungen.“ Das gelte auch für manche Bereiche des Lastkraftverkehrs oder der Schifffahrt.
Eine Technologie für die Herstellung synthetischer Treibstoffe hat das Unternehmen Caphenia entwickelt. Der Gedanke: In einem einzigen Reaktor sollen drei bekannte chemische Verfahren in drei Schritten hintereinander und miteinander kombiniert werden, um ein Synthesegas herzustellen. Ausgangsmaterialien sind aus organischen Abfällen und Klärschlämmen erzeugtes Biogas (bestehend aus Methan und Kohlenstoffdioxid), Wasser und Strom aus erneuerbaren Energien.
Zunächst wird das Methan mithilfe von regenerativem Strom in seine Komponenten Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt. In einem zweiten Verfahrensschritt reagiert der Kohlenstoff mit dem Kohlenstoffdioxid und bildet Kohlenstoffmonoxid aus. In Schritt drei entsteht aus weiterem Kohlenstoff und Wasserdampf ebenfalls Kohlenstoffmonoxid, aber auch Wasserstoff – es ergibt sich insgesamt also eine Mischung aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Dieses Synthesegas kann danach mittels bekannter Konversionstechnologien in beliebige Kraftstoffe wie Kerosin, Diesel oder Benzin umgewandelt werden. 2021 war das Unternehmen für die Entwicklung dieses Verfahrens für den Deutschen Innovationspreis nominiert.
Nun geht das Verfahren im Projekt reTURN in den vierjährigen Praxistest: In Frankfurt-Höchst wird ab 2023 ein Prototyp des Reaktors gebaut und das Verfahren erprobt, um seine technische Machbarkeit und Massenmarkttauglichkeit zu beweisen. Als zweiter Projektbeteiligter konzipiert das Institut für Verbrennungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Messverfahren am Reaktor und Simulationen. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg entwickelt ein Modell zur Bestimmung des CO2-Fußabdruckes im gesamten Prozess und in der Testanlage.
„Wir begleiten den Bau des Testreaktors mit einer Ökobilanz und erstellen eine vollständige Lebenszyklusanalyse“, sagt H-BRS-Professorin Stefanie Meilinger. Die benötigten Materialen für den Bau des Reaktors werden ebenso auf ihre CO2-Bilanz hin untersucht wie die Bereitstellung des Biogases und die Synthesegasproduktion selbst. Die ökologische Nachhaltigkeitsbetrachtung geht aber noch darüber hinaus. Die H-BRS entwickelt ein Modell, das nicht nur den Ist-Zustand des Testreaktors abbildet, sondern auch die Abhängigkeiten aller Parameter untereinander berücksichtigt und damit für unterschiedliche Standortbedingungen variabel angepasst werden kann.
„Unsere Hoffnung ist, dass bei diesem neuen Verfahren wesentlich weniger Energie eingesetzt werden muss als bei anderen Verfahren“, sagt die H-BRS-Professorin, deren Forschungsschwerpunkte die Nachhaltigen Technologien sind. „Und vom Biogas wird nicht nur das Methan genutzt, sondern auch das Kohlenstoffdioxid, was die Bilanz weiter verbessert.“
Grundsätzlich ist es Meilinger wichtig, dass technologische Entwicklungen und ökologische Bewertungen zusammengebracht werden. „Um die Energiewende zu schaffen, müssen wir jede Technologie konsequent untersuchen, die Alternativen diskutieren und ihre Ökobilanzen berechnen“, sagt sie. „Wir müssen uns immer anschauen, wie die Verfahren im Vergleich aussehen.“ Das ist auch etwas, das sie ihren Studierenden der Nachhaltigen Ingenieurwissenschaft beim „Life Cycle Assessment“ (LCA), also der Ökobilanzierung, die ein Spezialgebiet der Hochschule ist, näherbringen will.
Hintergrund: 3-in-1-Zonenreaktor
Der Reaktor ist in drei übereinander liegende Bereiche aufgeteilt. Der Prozess beginnt im oberen Bereich, in der sogenannten Plasmazone, mit dem thermischen Verfahren der Plasmapyrolyse. Hier wird Methan (CH4) eingeleitet und auf zirka 2.000 Grad Celsius erhitzt. Das Erhitzen erfolgt mit einem Lichtbogen, also durch das Anlegen von Strom. Bei der Plasmapyrolyse zerfällt jedes Methanmolekül zu je einem Kohlenstoffatom (C) und zwei Molekülen Wasserstoff (H2).
Diese Reaktionsprodukte werden in die mittlere Kammer geführt. Hier, in der Boudouard-Zone, wird Kohlenstoffdioxid (CO2) eingeleitet, um eine von Octave Leopold Boudouard (1872–1923) entdeckte Reaktion auszunutzen. Das Kohlenstoffdioxid reagiert dabei mit dem Kohlenstoff zu Kohlenmonoxid (CO).
In der hetWGS-Zone (heterogene Water-Gas-Shift-Reaktion) wird Wasser eingeleitet, das ebenfalls mit dem heißen Kohlenstoff zu Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) reagiert – den beiden Bestandteilen des Synthesegases. Das CO-H2-Verhältnis ist einstellbar.
Kontakt
Stefanie Meilinger
Professorin für Nachhaltige Technologien, insb. Energieeffizienz und Erneuerbare Energien, Direktorin des Internationalen Zentrums für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) und Mitglied des Instituts für Technik, Ressourcen- und Energieeffizienz (TREE), Mitglied des Promotionskollegs NRW , Studiengangleiterin Nachhaltige Ingenieurwissenschaft (NI) , Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Kommunikation (IWK)
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