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Equal Care Day: "Frage von Ethik und Verantwortung"

Mittwoch, 9. März 2022

Der Equal Care Day (ECD) ist eine Initiative, die auf mangelnde Wertschätzung und ungerechte Verteilung von Care-Arbeit aufmerksam machen will. Am 1. März tauschten sich deutschlandweit Interessierte bei virtuellen Veranstaltungen zum Thema aus. Bei der Bonner Städtekonferenz standen dabei die Themen Umwelt, Pflege und Führung im Mittelpunkt; eine der Sponsorinnen war die Gleichstellungsstelle der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS), Dr. Daryoush Vaziri vertrat die H-BRS auf dem Podium. Was ist die Erkenntnis aus den Diskussionen? Darüber sprach Daniela Greulich mit Dr. Susann Kabisch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik und Verantwortung (ZEV), die dabei war.

dr._susann_kabisch_zentrum_fuer_ethik_und_verantwortung_09032022_foto_daniela_greulich.jpg (DE)

Frau Kabisch, worum geht es beim Equal Care Day?

Susann Kabisch: Für mich ist das große Stichwort bei der Care-Arbeit Unsichtbarkeit. Ganz viele Zahlen belegen, wie ungleich die bezahlte wie die unbezahlte Care-Arbeit verteilt ist. Ein Beispiel: Im Alter von 34 Jahren übernehmen Frauen mehr als doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer. Verantwortung, Wissen und Organisation sind darin noch gar nicht eingerechnet. Auch ein Beispiel dafür: Wenn mein Kind geimpft wird, geht es nicht nur darum, das Kind zum Kinderarzt zu bringen. Der Termin muss auch vereinbart und mit Verabredungen koordiniert werden, der Impfpass muss bereitliegen, es musste daran gedacht werden, dass die Impfung ansteht. Und man muss mit dem Kind darüber sprechen. Diese Arbeit, Mental Load genannt, bleibt zumeist auch für diejenigen, die sie tragen, im Verborgenen, weil sie so schwer zu greifen ist, solange es dafür keinen Begriff und kein Konzept gibt.

Was bedeutet das?

Kabisch: Die Frage nach Equal Care ist eine Frage der Gerechtigkeit – nicht nur unter den Geschlechtern, sondern auch mit Blick auf Einkommen, Alter und Herkunft. Care-Arbeit wird in der Gesellschaft und im Wirtschaftssystem nicht oder zu wenig gewertschätzt, sowohl im Privaten als auch in Beruf und Ehrenamt. Das ist auch nicht nur eine Frage für Frauen und marginalisierte/benachteiligte Gruppen. Dahinter steht die Frage: Was ist ein gutes Leben? In einem guten Leben ist jede und jeder auf die Fürsorge anderer - wie natürlich auch auf Selbstsorge, auch das ist Care-Arbeit - angewiesen. Wenn wir das, was ein gutes Leben ausmacht, permanent in die Unsichtbarkeit schieben, ist das eine Frage von Ethik und Verantwortung. Es geht auch um die Frage, wie wir das Menschsein begreifen wollen.

Was hat sie bei den Diskussionen am meisten überrascht?

Kabisch: Ich bin ganz begeistert von den vielfältigen Formaten und differenzierten Diskussionen. Mein persönliches Aha-Erlebnis war, wie eng Wirtschaft und Care-Arbeit sowie Klimakrise und Care-Arbeit zusammenhängen. Natur wie Care-Arbeit, also die menschliche Fürsorge, werden als selbstverständliche Ressource gesehen, die einfach da ist. Beide werden ungerecht verteilt für individuelle Zwecke wie etwa zur Gewinnmaximierung in Anspruch genommen. Aber wir alle sind darauf angewiesen. Die Kosten für diese Ausbeutung tragen letztlich wir alle. Ohne die beiden überleben wir nicht. Und mit Geld und finanziellen Anreizen alleine lässt sich die verkürzende Sicht auf beides nicht verbessern.

Was folgt daraus?

Kabisch: Es liegt in unserer Verantwortung, uns damit alle gemeinsam als Gesellschaft auseinanderzusetzen. Wenn das nur die machen, die bereits die Hauptlast tragen, verstärkt das nur die Ungleichheit.

 

Dr. Susann Kabisch ist seit Februar 2022 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik und Verantwortung. Die Philosophin und Kulturwissenschaftlerin wird sich dort schwerpunktmäßig mit den Themen Nachhaltigkeit und Gesellschaftliche Verantwortung sowie den Fragen nach Klimagerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit beschäftigen.

Auch das Datum des Equal Care Days (ECD) hatte Symbolkraft und war mit Bedacht gewählt: Der 29. Februar ist ein Tag, der nur alle vier Jahre im Kalender erscheint, drei Viertel der Zeit bleibt er unsichtbar. Er kommt im Kalender nicht vor - wie eben auch drei Viertel der Care-Arbeit unsichtbar bleiben (80 Prozent der Care-Arbeit werden von Frauen übernommen, ohne dass es darüber ein breites gesellschaftliches Bewusstsein gäbe). Care-Arbeit umfasst alle Tätigkeiten des alltäglichen Kümmerns und Aufrecht-Erhaltens von Strukturen, also Fürsorge, Versorgung von Kindern, Unterstützung in Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft, Tätigkeiten im Haushalt, Erziehung, Bildung, Pflege und so weiter.

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Daniela Greulich

Stellvertretende Leitung der Stabsstelle, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Pressesprecherin

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Sankt Augustin

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