Kommunikation und Marketing | Alumni-Büro
Oliver Zilken, Computer Science
Außenstehende verstehen von Informatik meist nur Bahnhof: Lauter unverständliche Codes, die sich auf wundersame Weise zu einer funktionierenden Software fügen. Was für komplexe Abläufe hinter einer solchen, im Idealfall sehr einfachen, Software stecken, davon macht sich kaum einer ein Bild. Womöglich stellt man sich einen dunklen Raum vor, in dem Computer-Nerds vor ihren Bildschirmen sitzen und unaufhörlich Zahlen und Buchstaben eintippen.
Doch wenn man den Standort von Rewe Digital in Köln betritt, wo Oliver Zilken arbeitet, sieht es dort ganz anders aus: Ein weiter, offener Raum, überall stehen Pflanzen, die weißen Wände sind beschrieben mit kleinen Grüßen und komplizierten Tabellen. Auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz, wird der 1,91 Meter große Hüne Zilken von vielen begrüßt und nach dem Befinden gefragt. Mit seiner lockeren Art in weißem Hemd, Jeans und leicht verwuschelten, blonden Haaren schüttelt er lauter Hände. Wie unter Freunden. An Zilkens Arbeitsplatz hängt ein Zettel auf dem steht: „Der beste Olli.“
Nur Kleinigkeiten deuten darauf hin, dass hier Software entwickelt wird. Mehrere Kästen besonders koffeinhaltigen Club Mate-Eistees zum Beispiel und große Android- und Apple-Symbole an den Wänden. „Momentan sind wir dabei, die Einkaufs-App für Rewe zu entwickeln, eine Version für Apple, eine für Android.“ Rewe Digital ist eine Tochter der Rewe Group, die alle nötige Software für den Handelsriesen entwickelt. Die Mitarbeiter nutzen dafür die sogenannte Scrum-Vorgehensweise. Das bedeutet, dass ausschließlich in Teams gearbeitet wird und jedes Team eine Reihe Aufgaben hat, die es bearbeiten kann. Das Wesen von Scrum dabei ist es, dass zu Projektbeginn viele Anforderungen und Lösungsansätze noch gar nicht klar definiert sind, sondern von den einzelnen Teams in ihren Bereichen aus der unmittelbaren Erfahrung heraus entwickelt werden. Gerade im Software-Bereich kommt man so am Ende oft zu besseren Ergebnissen, inzwischen wird diese Projektmanagement-Methode aber auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen angewendet. Durchschnittlich sind bei Rewe Digital acht bis zehn Mitarbeiter in einem Team und sitzen alle an einem Tisch. „Direkte Kommunikation und Offenheit sind sehr wichtig, damit man als Team gut vorankommt“, so Zilken.
Für ein gutes Endprodukt sind in der Softwareproduktion verschiedene Parteien nötig: Eine, die an den Profit denkt, also eine erfolgreiche Software sehen möchte. Eine, die für die Optik zuständig ist, damit die Software den Kunden auch äußerlich anspricht. Und es gibt die IT-Kräfte, die sich um den Hintergrund kümmern: Was passiert, wenn ich hier klicke, was passiert dort. In der veralteten Softwareentwicklung waren diese Teams getrennt und die Kommunikation lief im Wesentlichen nur über den Projektleiter. Er konnte allein entscheiden, musste aber auch die Verantwortung übernehmen.
Bei Scrum läuft das anders: Von jeder Partei ist jemand in einem Team vertreten. Es gibt die Fachlichen, die Entwickler und die Designer. Eine Person ist als sogenannter Productowner für die Kommunikation zwischen dem Team und den Verantwortlichen, die die Anforderungen stellen, zuständig. Als letzten im Team gibt es den Scrum Master, die Rolle, die Oliver Zilken spielt. Er kümmert sich um das Klima zwischen den Leuten, um die Moderation während der Treffen. Es geht sehr viel um das Persönliche, das Menschliche. „Ab und zu ist man zwar auch mal der Fußabtreter der anderen, aber es macht trotzdem enormen Spaß. Ich nehme das nicht persönlich, das ist mein Job.“
Das Team sucht sich zusammen eine Aufgabe aus und bearbeitet sie gemeinsam. Da jede Software, in diesem Falle jede App, aus vielen kleinen Bausteinen besteht, wird jeder kleine Baustein auch einzeln bearbeitet. Ein Baustein für die Rewe-Online-App ist zum Beispiel das Einloggen in den Account. Vom Team wird nun alles dafür entwickelt: das Aussehen, die Funktionen, die Codes. Dann wird dieser Teil Testern vorgelegt, die ihn bewerten. Mit den etwaigen Kritikpunkten geht der Baustein zurück an das Team. So entsteht eine viel intensivere Kommunikation zwischen Entwicklern und Testern – und zwar nicht erst, wenn die App fertig ist. „Diese Art zu arbeiten geht zwar nicht schneller“, erläutert Zilken, „aber im Endeffekt ist sie effektiver, da wir direkt wissen, was die Menschen haben möchten.“
Mit Kommunikation hatte Zilkens Studium eigentlich gar nicht so viel zu tun. Er studierte bis 2007 Informatik an der H-BRS und machte nach dem Bachelor auch noch seinen Master. „Ich fand das Studium ziemlich gut, es war sehr gemischt, von Informatik bis BWL, und wir hatten viel Kontakt mit den Professoren. Trotzdem würde ich sagen, dass reine Informatik eher langweilig ist.“ Als er nach seinem Abschluss zunächst in einigen Firmen als Softwareentwickler arbeitete, konnte ihn diese Aufgabe daher nicht komplett erfüllen. „Schon damals im Studium hatte mir die Arbeit in der Fachschaft und im Senat fast mehr Spaß gemacht. Dort habe ich viele Freundschaften geschlossen, die bis heute halten.“
Zilken hat es gern, wenn es menschelt, Kommunikation und Interaktion sind ihm wichtig. Und insofern war sein weiterer Weg womöglich vorprogrammiert. Zumal er als geborener und aufgewachsener Kölner eine typisch rheinische Frohnatur ist, die einfach gerne gleichgesinnte Menschen um sich hat. Auch im Beruf: „Vier Jahre lang war ich als klassischer Entwickler tätig und mochte die Hierarchien von Anfang an nicht. In den herkömmlichen Strukturen lief vieles zu schwerfällig, zu langsam und im Endeffekt kam nicht das Produkt heraus, das der Kunde sehen will.“ Als seine einstige Firma iDev auf Scrum umstellte, war Oliver Zilken sofort dabei. Schon zwei Jahre zuvor, 2009, hatte er begonnen, sich für Scrum zu interessieren und Informationen darüber zu sammeln. Da Scrum Master kein Ausbildungsberuf ist, muss sich jemand, der diese Position ausfüllen will, seine Infos aus seinen eigenen Netzwerken ziehen. Seit 2014 arbeitet der 34-jährige Zilken nun bei Rewe Digital und ist dort sehr zufrieden.
Doch jemand, der in seinem Beruf darauf spezialisiert ist, ständig Kontakte zu knüpfen und die Kommunikation der anderen untereinander zu verbessern, braucht auch mal seine Ruhe. „Abends lege ich mein Handy und die ganzen Computersachen weg“, sagt Zilken. „Ich habe eine Frau und zwei Kinder, außerdem sechs Hühner und im Keller eine ganze Fischzuchtanlage.“ Letztere betreibt er als Hobby gemeinsam mit seiner Frau: Sie züchten Kampffische. „Total abgefreakt, aber das ist meine Auszeit zuhause, und da will ich dann auch mal was zum Anfassen haben, handwerklich unterwegs sein.“ Zilken ist für die Technik der Aquarien zuständig, seine Frau, gelernte Chemielaborantin, für die komplizierte Genetik der Tiere.
Während er grinsend durch Fotos seiner Kampffische auf dem Handy blättert, wird Zilken angetippt. „Hast du noch irgendwo Büroklammern?“ Etwas verwirrt sucht er in seinen Schubladen und muss leider verneinen. Er schaut auf die Uhr und erklärt, er müsse gleich zu seiner nächsten Besprechung. Am Ausgang ruft er noch ein freudiges „Tschüss!“
Der Besuch bei Oliver Zilken zeigt: Informatik muss nicht nur aus trockenen Zahlen bestehen. Hinter jeder Software stecken eine Menge interessanter Menschen, die geholfen haben, unser digitales Leben zu vereinfachen. Menschen wie Oliver Zilken.
Text: Antonia Heizmann.
Antonia Heizmann studiert an unserer Hochschule Technikjournalismus. Sie verfasste dieses Porträt im Rahmen eines Wahlkurses (Porträtschreiben am Beispiel von H-BRS-Alumni) im Wintersemenster 2015/2016.