Centre for Ethics and Responsibility (ZEV)
Born to run - Vortrag und Diskussion
Die Ausgangsfrage der Veranstaltung war, inwiefern Fitness Tracker helfen, körperliche Funktionen zu kontrollieren. Viele (ver)messen ihre eigene Leistung: Schlafdauer, Bewegung, Herzfrequenz, Kalorienverbrauch oder Blutdruck. Es werden digitale Gesundheitsdaten gesammelt, die auch andere interessieren. Leisten diese technischen Instrumente einen Beitrag zu einer gesünderen Gesellschaft? Und ist es gerecht, dass Krankenkassen diejenigen belohnen, die ihre sportlichen Aktivitäten überwachen lassen? Sind das vielleicht die ersten Schritte auf dem Weg in eine Gesundheitsdiktatur?
Nach der Begrüßung durch den Moderator Gert Scobel führte Remi Maier-Rigaud mit einem Impulsvortrag in das Thema ein. Grundlage des Vortrags waren die Ergebnisse eines gemeinsamen empirischen Forschungsprojekts mit Wissenschaftlern der Universität zu Köln zur Nutzung von Gesundheits-Apps, Wearables sowie FitnessApps und FitnessTracker. Hier stand insbesondere die Frage im Fokus, inwiefern die Nutzung Folgen für die Solidaritätseinstellung in der Gesellschaft hat. Das Forschungsprojekt konnte auf der einen Seite zum Prinzip einer solidarisch einkommensabhängigen Finanzierung der Krankenversicherung generell weiterhin hohe Zustimmungen feststellen. Auf der anderen Seite war jedoch auch zu beobachten, dass die Nutzungsart der technischen Hilfsmittel (Fitness- oder krankheitsbezogen) durchaus Einfluss auf die Einstellung zu diesem Thema hat. Deutlich größere Zustimmung finden dabei durchweg Entsolidarisierungsoptionen auf Basis verhaltensbedingter Gesundheitsrisiken (Rauchen, ungesunde Ernährung, mangelnde Bewegung) als bei nichtverhaltensbedingten Gesundheitsrisiken (etwa berufsbedingte oder genetische Risiken). Einen ausführlicheren Einblick in den Text der Studie finden sie hier.
Im Anschluss an den Vortrag öffnete Gert Scobel die Diskussion zuerst einmal für die anderen Podiumsgäste. Alena Buyx konnte dabei sowohl Aspekte aus der Perspektive einer Medizinerin und Medizinethikerin als auch aus dem Arbeitsfeld des deutschen Ethikrates in das Gespräch einbringen. Eine besondere Rolle nahm in ihren Ausführungen die gesundheitliche Eigenverantwortung ein. Ein „digitale selfcare“ kann positive Effekte für die Anwender:innen haben, muss aber verhindern dass es zu „worried health“ kommt, wo die Nutzer:innen sich in einem unangebrachten Maße vor potentiellen Erkrankungen fürchten. Auch nahm die Frage nach dem Schutz der durch die technischen Hilfsmittel gesammelten Daten eine besondere Rolle bei Alena Buyx ein. Alexander Schellinger brachte relevante Erkenntnisse aus der Sicht einer Krankenkasse in die Diskussion ein. Ihm war es in seinem Eingangsstatement insbesondere wichtig, auch auf die positiven Potentiale von Gesundheits- und Fitnessapps sowie Wearables hinzuweisen. Zu vermuten sind hier große Potentiale für die bessere Überwachung des Gesundheitszustandes, von Krankheitsverläufen aber auch in der Prävention durch die Unterstützung beim Ablegen von ungesunden Verhaltensweisen. Diese Potentiale sind dann allerdings auch stark abhängig von der Qualität der Anwendungen.
Zur Sprache kam in der Diskussion, dass es zu unterscheiden gilt zwischen den regulierten Gesundheitsapps (bspw. über die DGUV) und den Healthapps von Unternehmen, die häufig keine einheitliche Systematik verwenden, in der Datenverwendung nicht reguliert und nur erschwert allgemein nutzbar sind. Bezüglich des Umgangs mit den Daten wies Prof. Maier-Rigaud nochmal darauf hin, dass es jetzt wichtig ist, dies zu regulieren und zu vereinheitlichen. Hier sind verschiedene Modelle denkbar, bspw. auch eine genossenschaftliche Organisation. In der weiteren Diskussion kamen vielfältige Aspekte des Themenkomplexes zur Sprache, die sich immer wieder vom Kernthema der Fitnestracker und -apps entfernten und dieses auch im größeren Kontext von Gerechtigkeit im Gesundheitssystem und der Solidarität der Versicherten untereinander betrachtete, wie dies ja auch schon in einleitenden Vortrag der Fall war.
Das Fitnesstracker als Hardware in der Welt sind und auch damit verbundene Apps eher mehr als weniger werden, darin waren sich die Diskutierenden einig. Es muss jedoch in Zukunft darum gehen, sowohl den Umgang mit den Daten zu regulieren als auch den Umgang der Individuen zu schulen.
Im letzten Teil der Veranstaltung konnten dann die Gäste der Veranstaltung zu Wort kommen und ihre Fragen an die Podiumsteilnehmer:innen stellen. Auch hier spielte der Umgang mit Daten wiederum eine große Rolle, so bspw. in der Frage nach dem Speicherort der Daten (USA/ Europa) oder nach der Selbstbestimmung im Umgang mit Daten. Großes Interesse zeigten die Anwesenden an den Möglichkeiten der Anpassung von Beiträgen, wie diese zu rechtfertigen sind und wie man Missbrauchsmöglichkeiten frühzeitig einschränkt. Hier wurde gut sichtbar, dass die Diskussion um die neuen technischen Möglichkeiten in vielen Fällen Überschneidungen mit älteren und fortlaufenden Diskursen im analogen Bereich hat. Gerechtigkeit und Solidarität im Gesundheitssystem bleiben somit für uns alle sehr wichtige Themen, die jedoch durch die neuen technischen Möglichkeiten eine weitere Dimension erhalten.
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